Über den Wert der Unternehmenswerte
Interview mit mycomm Geschäftsführer Jean-Daniel Roth
Wie wichtig ist es, dass Firmen ihre Unternehmenswerte tatsächlich leben?
Das ist sehr wichtig. Werte beinhalten ein Werteversprechen, das eingelöst werden will. Hält eine Organisation ihre wertebasierten Versprechen nicht ein, dann verliert diese als Arbeitgeber:in sehr schnell an Glaubwürdigkeit. Unternehmenswerte haben nur einen Wert, wenn sie gelebt werden. Ist dies nicht der Fall, dann entsteht eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die weitreichende Folgen hat für Mitarbeitende und deren Arbeitgebende.
Nehmen wir an, eine motivierte und kompetente Fachkraft lässt sich bei einem Unternehmen einstellen, das den Wert „Autonomie“ hochhält und aktiv kommuniziert. Vielleicht hat die Fachkraft einen etwas längeren Arbeitsweg auf sich genommen und Kompromisse beim Lohn gemacht, um autonom arbeiten zu können. Erlebt nun diese Fachkraft vor Ort eine andere Kultur, als zu Beginn versprochen wurde, dann gerät der psychologische Vertrag aus dem Gleichgewicht. Grosse Abweichungen vom Werteversprechen führen in der Regel zum Bruch des psychologischen Vertrags. Eine Folge davon ist, dass Mitarbeitende das Unternehmen vorzeitig verlassen. Unglückliche Abgänge werden oft begleitet von schlechten Bewertungen auf Arbeitgebenden-Bewertungsplattformen. Darunter leidet langfristig die Arbeitgebermarke, was dazu führen kann, dass sich immer weniger Kandidat:innen für das Unternehmen interessieren. Wenn dieser Fall eintritt, dann hat ein Unternehmen ein existenzielles Problem, denn Fachkräfte sind der treibende Faktor für Wachstum, Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit.
Wie bringt man Werte von der Imagebroschüre in die Herzen der Mitarbeitenden?
Werteformulierungen sind formal gesehen nur eine SOLL-Vorgabe und liefern noch keine Informationen darüber, wie diese im Alltag gelebt werden könnten. Um dies zu bewerkstelligen, braucht es einen gemeinsamen Prozess, wo Unternehmenswerte in den Kontext des Arbeitsalltags gestellt und ausprobiert werden. Des Weiteren ist entscheidend, dass Leader:innen die Unternehmenswerte glaubhaft vorleben. Gleichzeitig plädiere ich dafür, dass Werte von Anfang an auf Teamstufe thematisiert werden. Unternehmenswerte lassen sich nicht nach Top-Down-Manier befehlen. Sie müssen in der ganzen Aufbau- und Ablauforganisation interpretiert, gelebt und weiterentwickelt werden.
Bei mycomm habt ihr die Werte „Customer Centric“, „Trustworthy“, „Innovative, Creative“, „Skilled“ und „Analytic“ definiert. Welche konkreten Auswirkungen hat dieses Werteset auf eure Geschäftstätigkeiten?
Die Werte haben einen grossen Einfluss auf das ganze Geschäftsmodell und auf die Art und Weise, wie wir mit unseren Kund:innen kommunizieren. Nehmen wir als Beispiel den Wert „Analytisch“. Bei der Erstellung von Dienstleistungsangeboten und Konzepten zeigt sich das so, dass wir für die Erweiterung unserer Zielgruppenkenntnisse selbst Primärdaten erheben und analysieren. So konnten wir 2022 mit der Unterstützung von 15 Schweizer Wirtschaftsverbänden und vielen KMU eine branchen- und generationenübergreifende Umfrage zum Thema Job-Präferenzen von Fachkräften in der Deutschschweiz durchführen.
Gleichzeitig lese ich regelmässig Studien, um auf dem neusten Wissensstand zu bleiben. Dabei ist mir wichtig, bestehende und gerade populäre Konzepte zu hinterfragen. Beispielsweise bin ich kein Fan von vorgefertigten Candidate Personas oder von starren Generationenkonzepten. Ich habe den Eindruck, dass diese Modelle stark zur Stereotypisierung neigen und deshalb zu wenig lösungsorientiert sind.
Wie wichtig sind Werte im Zusammenhang mit Employer Branding?
Gelebte Werte, die authentisch nach aussen kommuniziert werden, sind Gold wert für den Aufbau einer nachhaltigen Arbeitgebermarke. Sie dienen Mitarbeitenden wie auch potenziellen Fachkräften in einer wachsenden Informationsflut als Orientierungspunkt. Hier sind wir beim Thema Differenzierung angelangt. Unternehmen, die bewusst Werte in den Alltag übersetzen und ihre Unternehmenskultur weiterentwickeln, schaffen Arbeitsplätze mit „Magnet-Wirkung“. Gelebte Werte und deren Kommunikation wirken aber nicht nur anziehend, sondern haben auch eine präselektive Wirkung. Mitarbeitende, die offen für eine neue Stelle oder aktiv auf der Suche sind, gleichen die kommunizierte Unternehmenskultur und die Werte mit ihren Präferenzen ab. Springt der Funke nicht, dann kommt es nicht zu einem Match. Davon profitieren beide Seiten. Kürzlich hat mir der Leiter einer HR-Abteilung erzählt, dass die Anzahl und die Qualität der eingesendeten Bewerbungsdossiers gestiegen sei, seit sie auf ihrer Unternehmenswebsite eine Karriereseite inklusive Leitbild veröffentlicht hätten. Ein nachhaltiges und erfolgreiches Employer Branding beinhaltet mit Sicherheit diese drei Erfolgsfaktoren: Werte definieren, leben und kommunizieren.